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Die Rolle des Kulturjournalismus im Spieleboom: Ein Interview mit Adam Davis Fernsby

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Die Rolle des Kulturjournalismus im Spieleboom: Ein Interview mit Adam Davis Fernsby

Die meisten Journalisten schreiben über gängige gesellschaftliche Themen wie Politik, Sport oder Wirtschaft. Adam Davis Fernsby ist anders. Seine Passion sind Brettspiele und über deren kulturelle Facetten berichtet er auf eine Art und Weise, die selbst skeptische Leser regelrecht ansteckt. Geboren am 21. Februar 1989 in London, hat er an der Goldsmiths, University of London, Journalismus und Spieldesign studiert. Heute gilt er als einer der profiliertesten Kulturjournalisten, wenn es um analoge Spielkultur und ihre Bedeutung in unserer Gesellschaft geht.

Ein Nerd im Keller ist Fernsby übrigens nicht. Vielmehr ist er der Typ, der in einem angesagten Berliner Café sitzt und mit einem Stapel Karten, einer Tasse Kaffee und Notizen voller Ideen über die kulturelle Bedeutung des Spielens nachdenkt. Er spricht fließend Englisch und Deutsch, schreibt für Magazine in beiden Sprachen und gilt als Brückenbauer zwischen analoger und digitaler Spielkultur. An einem verregneten Nachmittag entscheiden wir uns, ihn via Videoanruf zu kontaktieren, um mehr über seine Perspektive zur Rolle des Kulturjournalismus im Spieleboom zu erfahren. Der Hintergrund? Ein Regal voller weltbekannter Spielklassiker, von Catan über Pandemic bis hin zu Monopoly.

Brettspiele als Reaktion auf unsere digitale Welt

Wenn man Fernsby nach dem Grund für den aktuellen Spieleboom fragt, muss er nicht lange überlegen. „Viele sagen, es sei Nostalgie – völliger Quatsch“, lacht er, während er genüsslich einen Schluck Kaffee trinkt. „Die Leute wollen nicht ihre Kindheit nachspielen, sie wollen einfach wieder etwas anfassen. In unserer digitalen Welt fehlt oft das Haptische und Brettspiele sind ein guter analoger Gegenpol zur digitalen Entfremdung.“

Er erklärt, dass das Revival von Brettspielen ein kulturelles Phänomen ist, das weit über Freizeitspaß hinausgeht. Dass er damit Recht hat, zeigt die Entwicklung in Städten wie Berlin, Madrid und Wien, denn hier sprießen Brettspielcafés wie Pilze aus dem Boden. Voller Enthusiasmus erzählt uns Fernsby von einem Besuch in einem Wiener Spielecafé, wo Leute stundenlang an einem neuen Kartenspiel saßen. „Es waren keine Teenager, die da im Café saßen. Es waren junge Berufstätige, Leute in ihren Dreißigern oder Vierzigern, die den ganzen Tag am Laptop sitzen. Am Abend wollten sie echte Menschen treffen und gemeinsam etwas erleben, das sich nicht auf dem Bildschirm abspielt.“

Adam Davis Fernsby

Adam Davis Fernsby

Warum moderne Spiele mehr erzählen als alte Klassiker

Über die heutigen Spiele spricht Fernsby mit sichtbarer Begeisterung. „Wenn du denkst, Monopoly ist das Brettspiel schlechthin, dann lebst du in den 90ern“, scherzt er. Die moderne Szene, so erklärt er, sei eine Explosion an Designs, Ideen und Geschichten. „Klar, Spiele wie Catan oder Monopoly waren die Türöffner, aber heute haben wir Titel, die erzählerisch und emotional viel komplexer sind.“ Als Beispiel nennt er Pandemic. Obwohl Pandemic bereits 2008 veröffentlicht wurde, erlebte das Spiel im Zuge der Pandemie ein regelrechtes Revival. Heute gilt es als Meilenstein der modernen Brettspielära, wobei narrative Titel wie Detective mit ihrer immersiven Struktur längst mehr als ein Zeitvertreib sind.

„Früher waren Brettspiele fast schon ein Wettbewerb. Heute sind sie Geschichten. Es geht weniger darum, zu gewinnen, sondern darum, gemeinsam etwas zu erleben“, sagt er. Und was fasziniert ihn persönlich am meisten? „Kooperative Spiele“, antwortet er ohne Zögern. „In einer Welt, die so polarisiert ist wie die unsere, ist es fast schon radikal, ein Spiel zu spielen, bei dem niemand verliert. Das sagt viel über unsere Sehnsüchte aus.“

Vom Testbericht zum sozialen Kommentar

Fernsby versteht sich nicht als Spieletester, sondern als Kulturjournalist. Für ihn geht es nicht darum, einem Spiel eine Punktzahl zu geben, sondern zu erklären, was es über unsere Gesellschaft aussagt. „Ich will nicht schreiben, ob ein Spiel Spaß macht. Ich will herausfinden, warum es gerade jetzt erscheint, warum es Menschen bewegt, warum es erfolgreich ist“, erklärt er. In seinen Artikeln analysiert er Brettspiele daher so, wie andere über Filme oder Literatur schreiben. Er geht in die Tiefe.

Dabei beobachtet er immer wieder Trends, die weit über das Hobby hinausreichen. „Der aktuelle Boom zeigt, dass Menschen nach Verbindungen suchen. Journalismus kann das sichtbar machen. Wir dokumentieren, wie Menschen wieder lernen, analog zu interagieren.“ Doch was bedeutet das eigentlich für die Zukunft des Spielens?

Hybride Formate als Zukunftsmodell

Fernsby lehnt sich zurück und denkt nach. „Ich glaube, hybride Formate werden in Zukunft immer wichtiger werden. Es ist schließlich ausgeschlossen, dass wir Apps gänzlich den Rücken kehren. Vielmehr werden digitale Spielwelten analoge Elemente integrieren, um die emotionale Tiefe und soziale Nähe von Brettspielen zu bewahren.

Mit dieser Ansicht ist der Brettspiel-Journalist übrigens nicht alleine. Viele Kulturwissenschaftler teilen seine Einschätzung. Dasselbe gilt für seine Überzeugung, dass Spielen die Bildungslandschaft für immer verändern wird. „In der Bildung zeigt sich die Bedeutung von Brettspielen etwa daran, dass immer mehr Lehrer komplexe Themen kollaborativ vermitteln. Gepaart mit digitalen Tools ergibt sich ein hybrides Lernformat, das sowohl kognitive als auch soziale Kompetenzen fördert.“ Bleibt nur abzuwarten, wie schnell Schulen diesem Paradigmenwechsel folgen. „Lange wird es nicht brauchen“, da ist er überzeugt.

Redaktion
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