Nebenerwerb in der Landwirtschaft
Der traditionelle Ackerbau und die Viehzucht allein reichen vielen Landwirten in Baden-Württemberg nicht mehr aus, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Externe Faktoren wie Extremwetterereignisse, Tierseuchen und die starken Schwankungen der Agrarmärkte zwingen die Betriebe zur Diversifizierung. Zusätzliche Einkommenszweige, oft auch als Nebenerwerb oder Einkommenskombinationen bezeichnet, gewinnen daher massiv an Bedeutung. Sie dienen nicht nur der Einkommenssicherung, sondern auch dem Risikoausgleich und prägen zunehmend das Bild der baden-württembergischen Agrarlandschaft.
Ursachen und Strukturen
In Baden-Württemberg reicht das Einkommen aus der landwirtschaftlichen Primärproduktion häufig nicht aus, um den Lebensunterhalt vollständig zu decken. Viele Betriebe werden daher im Nebenerwerb geführt oder schaffen zusätzliche Betriebszweige zur Einkommensdiversifizierung. Ziel dieser Entwicklung ist nicht nur eine finanzielle Stabilisierung, sondern auch ein Risikomanagement im Hinblick auf externe Faktoren wie Wetterextreme, Marktvolatilität oder Tierseuchen.
Im Jahr 2023 wurden 86 % der 37.500 landwirtschaftlichen Betriebe im Land als Einzelunternehmen geführt, von denen wiederum 58 % im Nebenerwerb wirtschafteten. Der hohe Anteil ist vor allem auf die kleinteilige Agrarstruktur zurückzuführen, bei der die durchschnittliche Betriebsgröße bei 37,5 Hektar liegt.
Unterschiedliche Bedeutung in Haupt- und Nebenerwerb
Nebenerwerbsbetriebe verfügen im Schnitt über nur 18,6 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche. Dies entspricht etwa der Hälfte des Durchschnittswerts aller Betriebe. Entsprechend geringer ist auch ihr Anteil an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche im Land: Lediglich 29 % der insgesamt 1,41 Mio. ha wurden 2023 von Nebenerwerbsbetrieben bewirtschaftet. Besonders häufig sind diese Betriebe auf Dauergrünlandflächen vertreten (33 %), während Acker- und Dauerkulturflächen unterdurchschnittlich oft nebenerwerblich genutzt werden.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Viehhaltung: Zwar wirtschaften mehr als die Hälfte der viehhaltenden Betriebe im Nebenerwerb, sie halten jedoch nur 17 % der gesamten Großvieheinheiten. Intensive Tierhaltungen wie Milchvieh oder Schweine sind kaum im Nebenerwerb vertreten, während extensivere Tierhaltungen wie Schafe, Ziegen oder Mutterkühe überdurchschnittlich oft in Nebenerwerbsbetrieben vorkommen.
Wirtschaftliche Leistung: Standardoutput im Vergleich
Die wirtschaftliche Bedeutung der Nebenerwerbsbetriebe bleibt im Vergleich gering. Ihr Standardoutput (SO) betrug 2023 rund 0,68 Mrd. Euro, was 17 % des gesamten landwirtschaftlichen SO in Baden-Württemberg entspricht. Ein Nebenerwerbsbetrieb erreichte im Schnitt 31.000 Euro SO, während Haupterwerbsbetriebe auf etwa 190.000 Euro kamen. Diese Differenz verdeutlicht den wirtschaftlichen Abstand trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Nebenerwerbsbetriebe.
Einkommenskombinationen: Formen und Verbreitung
Zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage setzen viele Betriebe auf sogenannte Einkommenskombinationen. Hierbei handelt es sich um zusätzliche Tätigkeiten innerhalb oder außerhalb des Betriebs. Im Jahr 2023 wiesen 52 % aller landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg mindestens einen zusätzlichen Betriebszweig auf. Innerhalb von nur 13 Jahren ist dieser Anteil um 12 Prozentpunkte gestiegen.
Dabei werden zwei Grundformen unterschieden:
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Innerbetriebliche Einkommenskombinationen: Diese nutzen vorhandene betriebliche Ressourcen wie Flächen, Gebäude oder Maschinen.
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Rechtlich ausgelagerte Kombinationen: Diese werden als eigenständiger Betrieb geführt, meist zur Trennung gewerblicher Tätigkeiten und zur Wahrung steuerlicher Vorteile.
Die wichtigsten Einkommenskombinationen im Überblick
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Erzeugung erneuerbarer Energien
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9.090 Betriebe in Baden-Württemberg erzeugten 2023 Energie.
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Davon nutzten 97 % Photovoltaikanlagen, oft auf Dächern von Stallungen.
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Weitere Varianten sind Solarthermie (460 Betriebe) und Biogasanlagen (690 Betriebe).
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Agri-Photovoltaik bietet Nutzungsmöglichkeiten parallel zum Pflanzenbau.
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Direktvermarktung
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6.750 Betriebe verkaufen Produkte direkt an Endverbraucher.
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Kanäle sind Hofläden, Wochenmärkte, Verkaufsautomaten oder Online-Shops.
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Besonders verbreitet bei Milch, Fleisch, Eiern, Säften oder Eingemachtem.
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Land- und forstwirtschaftliche Dienstleistungen
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3.760 Betriebe bieten landwirtschaftliche, 2.220 forstwirtschaftliche Lohnarbeiten.
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Diese reichen von Erntearbeiten bis zur Maschinenvermietung.
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1.650 Betriebe führten Dienstleistungen außerhalb der Landwirtschaft durch (z. B. Winterdienst, Landschaftspflege).
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Beherbergung und Tourismus
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Viele Betriebe bieten Ferienunterkünfte oder Freizeitangebote („Urlaub auf dem Bauernhof“).
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Alte Hofgebäude werden hierfür zu Gästezimmern oder Ferienwohnungen umgebaut.
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Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse
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1.840 Betriebe verarbeiten selbst erzeugte Produkte weiter.
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Häufig verbunden mit Direktvermarktung.
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Pensionspferdehaltung und Reitsport
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Angebote für private Pferdehalter und Freizeit-Reiter.
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Oft mit Reitplätzen und Infrastruktur kombiniert.
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Holzverarbeitung
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Betriebe verkaufen Brennholz oder verarbeiten Holz weiter.
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Arbeitsplätze und Arbeitsvolumen
Die Einkommenskombinationen schaffen nicht nur Einkommen, sondern auch Beschäftigung. 2023 waren 22.900 Personen in entsprechende Betriebszweige eingebunden. Dies entspricht etwa einem Viertel der gesamten Arbeitskräfte im landwirtschaftlichen Bereich. Gemessen am Arbeitsvolumen betrug ihr Anteil 9 % bzw. 4.200 Arbeitskrafteinheiten. Gegenüber 2010 hat sich das Arbeitsvolumen dieser Gruppe um über 16 % erhöht, obwohl die Zahl der Personen leicht sank.
Die Rolle des Nebenerwerbs in der Landwirtschaft
Nebenerwerbsbetriebe prägen die Agrarstruktur in Baden-Württemberg maßgeblich. Sie verfügen zwar über geringe Flächen- und Tierbestände und leisten einen geringeren wirtschaftlichen Beitrag als Haupterwerbsbetriebe, haben jedoch eine bedeutende Rolle bei der Landschaftspflege und der Flächennutzung. Die zunehmende Etablierung zusätzlicher Betriebszweige dient der ökonomischen Absicherung und der Risikominimierung gegenüber externen Einflüssen. Besonders die Nutzung von Photovoltaik zeigt, dass erneuerbare Energien ein wirtschaftlich relevanter Pfeiler für viele Betriebe geworden sind.
Übersicht: Wichtige Fakten zum Nebenerwerb in der Landwirtschaft
Merkmal | Zahlen und Anteile (2023) |
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Anteil Nebenerwerbsbetriebe | 58 % aller landwirtschaftlichen Betriebe |
Durchschnittsgröße Nebenerwerbsbetrieb | 18,6 ha |
Anteil an Gesamtläche | 29 % der LF in Baden-Württemberg |
Anteil an Großvieheinheiten | 17 % |
Standardoutput Nebenerwerb | 0,68 Mrd. Euro (17 % Anteil) |
Betriebe mit Einkommenskombination | 52 % |
Wichtigste Betriebszweige | PV-Anlagen, Direktvermarktung, Dienstleistungen |
Beschäftigte in Einkommenszweigen | 22.900 Personen (9 % Arbeitsvolumen) |
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